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  Interview
 


Ein Interview mit Prof. Dr. Gerhard Treutlein aus dem Internet.


Prof. Dr. Gerhard Treutlein ist an der Universität Heidelberg tätig und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Doping. Der Bundespräsident hat ihn für seine Verdienste in der Dopingprävention mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Unsere persönlichen Fragen an Ihn werden in Kürze beantwortet auf unserer Page zu lesen sein.



Inwieweit lässt sich mit Prävention Missbrauch im Nachhinein verhindern?

 Besonders gefährdet sind Jugendliche, die im Lauf ihrer Jugend und Kindheit eine Dopingmentalität entwickelt haben. Angeblich zum Schutz der Gesundheit, des Immunsystems und des Leistungsvermögens werden nicht wenigen Kindern vorbeugend, meist ohne dass ein Defizit vorliegt, Vitamine, Nahrungsergänzungsmittel et cetera gegeben. Damit werden diese daran gewöhnt: Wenn ich etwas leisten will, muss ich etwas nehmen - das führt zur Dopingmentalität. Über Prävention müssen wir deshalb in erster Linie die Entstehung dieser Dopingmentalität verhindern oder später zumindest aufheben.

 

Trifft der Sportler am Ende nicht eine bewusste Entscheidung zu betrügen?

 Meist handelt es sich nicht um eine bewusste Entscheidung, zumal in Anbetracht von strukturellen Zwängen wie Normen, Geld gegen Leistung und so weiter. Über die Gabe von Schmerzmitteln, Kreatin, Nahrungsergänzungsmitteln und Ähnlichem werden in einer Reihe von Sportarten und Vereinen Jugendliche so daran gewöhnt, etwas zu nehmen, dass die weitere Grenzüberschreitung hin zu verbotenen Mitteln fast unbewusst kommt.

 

Aber ist nicht der Sport an sich mit seinem Leistungsprinzip und der zunehmenden Kommerzialisierung das Problem?

 Leistungssport ohne Leistungsprinzip funktioniert nicht. Leistungssport enthält Chancen und Risiken. Meist werden aber die Chancen überbetont und die Risiken negiert oder sogar tabuisiert. Aber nicht das Leistungsprinzip ist das Problem, sondern Funktionäre, Trainer, Mediziner oder Zuschauer, die sich einer einseitigen Logik des Leistungssports völlig unterwerfen und dabei oft die Ethik ihres eigenen Berufs vergessen. Mediziner etwa ihre Verpflichtung zur Arbeit für die Gesundheit.

 
Haben die Sportorganisationen die Bedeutung der Prävention erkannt?
 

Das Bewusstsein hierfür ist noch viel zu gering ausgeprägt. Wie soll sich Problembewusstsein entwickeln, wenn Geld vom Staat und den Sponsoren nur gegen Medaillen und Titel vergeben werden? Da bleibt den Verantwortlichen eigentlich nur das Lavieren zwischen entgegengesetzten Ansprüchen der Medaillenproduktion und des sauberen Sports. Wer effektiv Dopingprävention betreibt, riskiert einen Leistungsrückgang und bekommt dann weniger Geld und meist auch noch Prügel in den Medien - eine geradezu perverse Situation.

 

Wie ließe sich diese Situation lösen?

Der radikale Schnitt, der seit Jahrzehnten notwendig wäre, lässt sich kaum umsetzen. So lange frühere Doper - ohne erkennbaren radikalen Gesinnungswandel - weiter in Funktionen bleiben, bei öffentlichen Auftritten hochgelobt und als Ehrengäste eingeladen werden, während die Dopinggegner immer noch häufig diffamiert werden, gibt es keine Veränderung gegenüber früheren Jahrzehnten und wenig Chancen für einen sauberen und glaubwürdigen Sport. Bestes Beispiel ist der verurteilte Doper Heinz-Jochen Spilker, der seit vielen Jahren Vizepräsident und Rechtswart des thüringischen Landessportbunds ist. Es gibt immer wieder Stimmen, die fordern, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Wer die Vergangenheit verdrängt, wird immer wieder von ihr eingeholt. Ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit und kritische Analyse der Gegenwart sind Voraussetzung für eine bessere Zukunft.

 

Aber warum tut sich der deutsche Sport so schwer mit der Aufarbeitung des Gestern?

 Der deutsche Sport ist autonom. Wiedergewählt wird der, der am meisten den Erwartungen entspricht. In den meisten Verbänden stehen die Erwartungen von Erfolgen an erster Stelle. Vor und nach 1990 wurden nicht Leute gelobt, die sich dem Doping verweigert haben wie Hansjörg Kofink (ehemaliger Kugelstoß-Bundestrainer der Frauen: Anm. d. Red.), sondern erfolgreiche Doper wie Gehrmann, Springstein, Spilker und andere. Wer mag schon seine Heroen beschädigen, auch wenn längst deren Doping bekannt ist. Denken Sie nur an Rudi Altig. Oder ist Erik Zabel ein glaubwürdiges Vorbild für die Jugend? Der ehrliche Umgang mit der Vergangenheit hat noch in keinem Verband richtig begonnen.

 

Welche Lehren kann man denn aus der deutschen Dopingvergangenheit ziehen?

 Eine Lehre ist, dass man über Erfolge im Sport nicht den Wert eines Gesellschaftssystems nachweisen kann - wie es die DDR versucht hat und letztlich auch die Bundesrepublik Deutschland.

 

Sportfunktionäre sprechen gerne von wenigen schwarzen Schafen. Wie groß, glauben Sie, ist das Dopingproblem hierzulande?

 Die Rede von den wenigen schwarzen Schafen ist Lug und Trug. Überall dort, wo es Geständnisse von Dopern gibt oder intensiv geforscht wird, ist sichtbar, dass die Zahl der Dopenden wesentlich höher liegt als die Zahl der erwischten Doper. Wir haben heute wie in der Vergangenheit ein großes Dopingproblem, zunehmend aber auch ein Problem des Medikamentenmissbrauchs im Freizeit-, Breiten- und Fitnesssport, zusätzlich auch beim Alltagsdoping. Prävention tut not, und zwar in weit höherem Umfang als bisher. Wir haben Reparaturgesellschaften. Erst wenn das Kind im Brunnen liegt, wird zaghaft angefangen, etwas zu unternehmen.

 http://www.yasni.de/ext.php?url=http%3A%2F%2Fwww.stuttgarter-zeitung.de%2Fstz%2Fpage%2F2230575_0_6216_-interview-dopingmentalitaet-brechen-.html&name=Gerhard+Treutlein&cat=filter


 
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